Der unklare ROI ist die grösste Hürde bei KI-Projekten. Nicht die Technologie. Nicht das Budget. Sondern die Unfähigkeit, den Nutzen im Vorfeld zu beweisen. Eine aktuelle Umfrage unter 41 Schweizer CIOs zeigt: 56 Prozent scheitern an der fehlenden Business-Case-Rechtfertigung. Die Lösung? Eine professionelle KI-Governance-Struktur, die 2026 vom Nice-to-have zum Must-have wird.
Die unbequeme Wahrheit: 70 Prozent sehen KI als Risiko
Während die Medien von KI-Revolutionen berichten, zeigt die Realität in Schweizer Unternehmen ein anderes Bild. Die Euphorie ist verflogen. An ihre Stelle tritt pragmatische Vorsicht.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache:
- 69 Prozent der IT-Entscheider bewerten Datenschutzrisiken als hoch
- 62 Prozent fürchten den Kontrollverlust durch Black-Box-KI
- 51 Prozent sehen Vendor-Lock-in als strategische Gefahr
- 49 Prozent befürchten den Verlust kritischen Denkens bei Mitarbeitenden
Nur 28 Prozent der Schweizer CIOs sehen die Chancen klar überwiegen. Die Mehrheit (59 Prozent) befindet sich in einer Phase sorgfältiger Abwägung oder hat sich noch kein abschliessendes Urteil gebildet.
Diese Zurückhaltung ist kein Zeichen von Technologiefeindlichkeit. Sie ist das Ergebnis realer Erfahrungen mit gescheiterten Pilotprojekten, unklaren Haftungsfragen und der Komplexität regulatorischer Anforderungen.
Warum KI-Projekte scheitern: Die drei Hauptgründe
Grund 1: Der fehlende Business Case
56 Prozent der Schweizer IT-Chefs nennen den unklaren ROI als grösste Hürde. Das Problem ist nicht das finanzielle Risiko laufender Projekte – das wird als vergleichsweise gering eingestuft. Die eigentliche Blockade liegt früher: in der Unfähigkeit, den Nutzen vor Projektstart überzeugend zu quantifizieren.
Typische Szenarien:
- «KI wird uns effizienter machen» – aber um wie viel?
- «Wir brauchen KI, um wettbewerbsfähig zu bleiben» – aber welche konkreten Vorteile bringt sie?
- «Alle setzen auf KI» – aber was ist unser spezifischer Use Case?
Ohne messbare Ziele und klare Erfolgskriterien bleibt jedes KI-Projekt ein Experiment. Experimente bekommen keine Millionenbudgets.
Grund 2: Datenschutz und rechtliche Unsicherheit
Ein CIO bringt es auf den Punkt: «Rechtlich gesehen blockiert uns das neue Datenschutzgesetz, sobald es um sensible Daten oder automatisierte Entscheidungen geht.»
Die Schweiz hat mit dem revidierten Datenschutzgesetz (revDSG) und dem EU AI Act zwei regulatorische Rahmenwerke, die höchste Anforderungen stellen:
- Transparenzpflicht bei automatisierten Entscheidungen
- Nachweispflicht für Datenverarbeitung
- Haftungsfragen bei fehlerhaften KI-Outputs
- Urheberrechtliche Grauzonen bei generativen Modellen
51 Prozent der befragten CIOs bewerten Datenqualität und Datenschutz als zentrale Hürden. Ohne klare Governance-Strukturen bewegen sich Unternehmen in einer rechtlichen Grauzone.
Grund 3: Fehlende übergeordnete KI-Strategie
Fast der Hälfte der Schweizer Unternehmen fehlt eine übergeordnete KI-Strategie. Das Resultat: Insellösungen, Wildwuchs und inkonsistente Standards.
Die Folgen:
- Jede Abteilung experimentiert mit eigenen Tools
- Keine einheitlichen Sicherheitsstandards
- Doppelspurigkeiten und verschwendete Ressourcen
- Keine zentrale Kontrolle über Datenflüsse
- Vendor-Lock-in durch unkoordinierte Beschaffung
Ohne strategischen Rahmen wird KI zum unkontrollierbaren Flickenteppich statt zum Wettbewerbsvorteil.
Was KI-Governance konkret bedeutet
KI-Governance ist kein bürokratisches Monster, sondern ein strategisches Framework für verantwortungsvollen und effektiven KI-Einsatz. Sie beantwortet die entscheidenden Fragen:
Strategische Ebene:
- Welche KI-Projekte verfolgen wir und warum?
- Wie messen wir Erfolg?
- Welche Risiken akzeptieren wir, welche nicht?
Operative Ebene:
- Wer darf welche KI-Tools einsetzen?
- Welche Daten dürfen verarbeitet werden?
- Wie dokumentieren wir KI-Entscheidungen?
Compliance-Ebene:
- Wie erfüllen wir regulatorische Anforderungen?
- Wie stellen wir Transparenz sicher?
- Wer haftet bei Fehlern?
Eine professionelle KI-Governance-Struktur besteht aus fünf Kernelementen:
1. KI-Strategie und Roadmap
Definieren Sie klar, wo und warum Sie KI einsetzen wollen. Nicht «überall, wo es geht», sondern fokussiert auf Use Cases mit messbarem Business Value.
Konkrete Elemente:
- 3-5 strategische KI-Schwerpunkte
- Priorisierung nach Impact und Machbarkeit
- Zeitplan mit Meilensteinen
- Budget und Ressourcenplanung
2. Rollen und Verantwortlichkeiten
Klären Sie, wer was entscheidet. Ohne definierte Verantwortlichkeiten entsteht Chaos.
Typische Rollen:
- Chief AI Officer (CAIO): Strategische Gesamtverantwortung
- KI-Governance-Board: Entscheidungsgremium für Projekte und Standards
- Data Protection Officer: Compliance und Datenschutz
- KI-Projektleiter: Operative Umsetzung
- Fachbereichs-Champions: Bindeglied zwischen IT und Business
3. Richtlinien und Standards
Erstellen Sie verbindliche Guidelines für den KI-Einsatz. Diese sollten praktikabel, nicht akademisch sein.
Mindestinhalte:
- Erlaubte und verbotene KI-Anwendungen
- Datennutzungsrichtlinien (was darf in KI-Systeme?)
- Sicherheitsstandards (Verschlüsselung, Zugriffsrechte)
- Qualitätskriterien (Genauigkeit, Zuverlässigkeit)
- Dokumentationspflichten
4. Risikomanagement und Compliance
Identifizieren, bewerten und managen Sie KI-spezifische Risiken systematisch.
Risikoklassen nach EU AI Act:
- Unannehmbares Risiko: Verboten (z.B. Social Scoring)
- Hohes Risiko: Strenge Auflagen (z.B. Kreditentscheidungen)
- Begrenztes Risiko: Transparenzpflicht (z.B. Chatbots)
- Minimales Risiko: Keine speziellen Anforderungen
Für jedes KI-Projekt sollte eine Risikobewertung durchgeführt werden, bevor es startet.
5. Monitoring und kontinuierliche Verbesserung
KI-Governance ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess.
Etablieren Sie:
- Regelmässige Reviews laufender KI-Projekte
- KPI-Tracking (ROI, Fehlerquoten, Nutzungsraten)
- Incident-Management für KI-Fehler
- Feedback-Loops mit Anwendern
- Anpassung der Governance-Strukturen basierend auf Learnings
Der pragmatische Weg zur KI-Governance: 4 Schritte
Schritt 1: Quick Assessment (1-2 Wochen)
Verschaffen Sie sich einen Überblick über den Status quo:
- Welche KI-Tools werden bereits genutzt (auch inoffiziell)?
- Welche Daten fliessen in KI-Systeme?
- Welche Risiken bestehen aktuell?
- Wo fehlen Standards und Richtlinien?
Ein strukturiertes Assessment deckt oft überraschende Schatten-IT auf: Mitarbeitende nutzen ChatGPT mit Unternehmensdaten, Marketing experimentiert mit KI-Tools ohne IT-Freigabe, Entwickler integrieren KI-APIs ohne Sicherheitsprüfung.
Schritt 2: Governance-Framework definieren (4-6 Wochen)
Entwickeln Sie ein schlankes, praxistaugliches Framework:
- KI-Vision und strategische Ziele
- Organisationsstruktur (Rollen, Gremien)
- Kernrichtlinien (1-2 Seiten pro Thema, nicht 50-seitige Dokumente)
- Entscheidungsprozesse (wer genehmigt was?)
- Eskalationswege bei Problemen
Wichtig: Starten Sie schlank. Ein 10-seitiges Framework, das gelebt wird, schlägt ein 100-seitiges, das in der Schublade verstaubt.
Schritt 3: Pilotprojekt mit Governance (8-12 Wochen)
Testen Sie Ihr Framework an einem konkreten KI-Projekt:
- Wählen Sie einen Use Case mit mittlerem Risiko und hohem Lernpotenzial
- Wenden Sie alle Governance-Prozesse konsequent an
- Dokumentieren Sie, was funktioniert und was nicht
- Sammeln Sie Feedback von allen Beteiligten
Dieser Praxistest zeigt schnell, wo Ihr Framework zu bürokratisch, zu vage oder unvollständig ist.
Schritt 4: Rollout und Skalierung (3-6 Monate)
Basierend auf den Learnings aus dem Pilot:
- Finalisieren Sie das Governance-Framework
- Schulen Sie alle relevanten Stakeholder
- Kommunizieren Sie Standards und Prozesse unternehmensweit
- Etablieren Sie regelmässige Governance-Reviews
- Skalieren Sie auf weitere KI-Projekte
Die 5 häufigsten Governance-Fehler
Fehler 1: Zu akademisch, zu komplex
Governance-Frameworks, die wie juristische Abhandlungen klingen, werden nicht gelebt. Halten Sie Richtlinien kurz, konkret und praxisnah.
Schlecht: «Die Implementierung von KI-Systemen bedarf einer umfassenden Evaluation unter Berücksichtigung sämtlicher regulatorischer Rahmenbedingungen…»
Gut: «Vor jedem KI-Projekt: 1) Business Case erstellen, 2) Risikobewertung durchführen, 3) Genehmigung vom KI-Board einholen.»
Fehler 2: Governance als IT-Thema behandeln
KI-Governance ist ein Business-Thema, kein IT-Thema. Die IT kann die Infrastruktur bereitstellen, aber die strategischen Entscheidungen müssen vom Business kommen.
Erfolgsfaktor: KI-Governance-Board mit Vertretern aus Business, IT, Legal, Compliance und Datenschutz.
Fehler 3: Alles auf einmal wollen
Der Versuch, von Tag 1 an ein perfektes, allumfassendes Governance-System zu etablieren, führt zu Lähmung.
Besser: Start small, iterate fast. Beginnen Sie mit den kritischsten Bereichen und erweitern Sie schrittweise.
Fehler 4: Governance als Verhinderer positionieren
Wenn Governance als «KI-Polizei» wahrgenommen wird, die nur Nein sagt, entsteht Widerstand und Schatten-IT.
Erfolgsrezept: Positionieren Sie Governance als Enabler, der sichere und erfolgreiche KI-Nutzung ermöglicht.
Fehler 5: Keine Konsequenzen bei Verstössen
Richtlinien ohne Durchsetzung sind wertlos. Definieren Sie klare Konsequenzen bei Verstössen – und setzen Sie diese auch um.
Was erfolgreiche Unternehmen anders machen
Die 30 Prozent der Schweizer Unternehmen, die ihre KI-Ziele erreichen, haben drei Gemeinsamkeiten:
1. Sie starten mit klaren Business Cases
Erfolgreiche KI-Projekte beginnen nicht mit «Wir brauchen KI», sondern mit «Wir haben Problem X, und KI könnte Lösung Y sein, mit messbarem Nutzen Z.»
Beispiel: Statt «KI-Chatbot für Kundenservice» → «Reduktion der Bearbeitungszeit für Standardanfragen um 60%, ROI nach 8 Monaten.»
2. Sie etablieren Governance von Anfang an
Governance wird nicht nachträglich aufgesetzt, wenn bereits Probleme aufgetreten sind, sondern von Projektstart an mitgedacht.
Praxis: Jedes KI-Projekt durchläuft einen standardisierten Genehmigungsprozess mit Risikobewertung, Datenschutzprüfung und Business-Case-Validierung.
3. Sie investieren in Change Management
Die beste Governance nützt nichts, wenn Teams sie nicht verstehen oder akzeptieren. Erfolgreiche Unternehmen investieren 20-30% der Projektressourcen in Kommunikation, Schulung und Einbindung.
Konkrete KPIs für erfolgreiche KI-Governance
Messen Sie den Erfolg Ihrer Governance-Struktur an konkreten Kennzahlen:
Effizienz-KPIs:
- Time-to-Market für KI-Projekte (Ziel: Reduktion um 30%)
- Anteil genehmigter vs. abgelehnter Projekte
- Durchschnittliche Genehmigungsdauer
Risiko-KPIs:
- Anzahl Compliance-Verstösse (Ziel: 0)
- Anzahl Datenschutz-Incidents
- Anzahl ungenehmigter KI-Tools im Einsatz (Schatten-IT)
Business-KPIs:
- ROI realisierter KI-Projekte
- Anteil Projekte, die ursprüngliche Ziele erreichen
- Mitarbeiterzufriedenheit mit KI-Tools
Ausblick: KI-Governance wird zur Pflicht
Der EU AI Act macht KI-Governance ab 2026 für viele Anwendungen zur rechtlichen Pflicht. Unternehmen müssen nachweisen können:
- Wie ihre KI-Systeme Entscheidungen treffen
- Welche Daten verwendet wurden
- Wie Risiken bewertet und gemindert wurden
- Dass menschliche Aufsicht gewährleistet ist
Wer jetzt keine Governance-Strukturen etabliert, wird 2026 nicht nur ineffizient, sondern auch illegal operieren.
Fazit: Governance als Wettbewerbsvorteil
KI-Governance ist kein bürokratischer Ballast, sondern ein strategischer Enabler. Sie verwandelt KI von einem unkontrollierbaren Risiko in einen planbaren Wettbewerbsvorteil.
Die Unternehmen, die 2026 erfolgreich sein werden, sind nicht die mit der fortschrittlichsten Technologie, sondern die mit den klarsten Strukturen. Sie wissen, wo sie KI einsetzen, wie sie Risiken managen und wie sie Erfolg messen.
Der Unterschied zwischen den 30 Prozent erfolgreichen und den 70 Prozent scheiternden KI-Projekten liegt nicht in der Technologie. Er liegt in der Governance.
Starten Sie jetzt. Nicht mit einem perfekten System, sondern mit einem pragmatischen Framework, das Sie kontinuierlich verbessern. Die Zeit der KI-Experimente ist vorbei. 2026 wird das Jahr der professionellen KI-Governance.

